filharmonia szczecin

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Paraphernalia im Rampenlicht




Selbstverständlich war ich beeindruckt von der architektonischen Prägnanz der Stettiner Philharmonie, als ich im Mai 2016 dorthin kam, um ein Konzert zu hören. Was mich aber nachhaltiger anrührte, waren diese drei Kissen, die im hinteren Teil der weitläufigen Eingangshalle am Boden lagen; – zumindest von den Bildern her kann ich das sagen, die ich aus den insgesamt 84 Negativen später zur Vergrößerung und jetzt zur Veröffentlichung ausgewählt habe. Gerne möchte ich auch behaupten, dass die Kissen mir sofort ins Auge fielen, als ich den Raum betrat, ja dass sie in ihrer Absonderlichkeit das Sublime der Halle überstrahlten. Aber das stimmt nicht. Und ihre Bedeutung erfasse oder ersinne ich – mich erinnernd zwar auch – erst jetzt, wo ich versuche zu beschreiben, was meine Fotos zeigen.

Was mich also anrührte, waren drei gewöhnliche Kissen, die hier, in dieser distinguierten Umgebung, öffentlich herumlagen (vielleicht sogar herumlungerten) wie Clochards oder zumindest wie die Reste der provisorischen Schlafstatt eines solchen. Ausgesetzte persönliche Gegenstände. So sehr persönlich wirkten sie wohl, weil ihr Besitzer sie gerade nicht mit sentimentaler Bedeutung belegt (und beschwert) hatte, weil sie nichts symbolisierten und nichts repräsentieren sollten; Das waren einfach ein paar Kissen, Nebensachen im Alltag, die zur Verfügung standen, ohne sich vielleicht je als besondere, eigenständige Dinge ins Bewusstsein zu drängen.

Lappalien im Rampenlicht müsste dieser Text also eigentlich heißen. Lappalie ist das bessere Wort in diesem Zusammenhang, denn selbst seine Entstehungsgeschichte korrespondiert mit dem Signifikat. Es ist eine Latinisierung von Lappen, also ursprünglich ein deutsches und kein Fremdwort, dessen ehrwürdige Herkunft es vielleicht geeignet erscheinen ließe, dem Bezeichneten einen gewissen Glanz zu verleihen.

Bestimmt gibt es auch in der Philharmonie von Stettin irgendwo einen Platz für die von Besuchern vergessenen Dinge, eine Kiste oder eine Kammer. Und bestimmt können auch solche Sachen sehr verwaist und bemitleidenswert aussehen, wenn die Zeit abgelaufen ist und niemand sich die Mühe gemacht hat, sie nach Hause zu holen. Aber kein Kleidungsstück, kein Regenschirm, kein Handschuh und keine Haarspange könnte in diesen erhabenen Räumen privater wirken und deplatzierter.

Privat – ihres angestammten Platzes beraubt, umfunktionalisiert und mutwillig in einen anderen Kontext gebracht, deuten die drei Kissen lauthals auf eine Abwesenheit; Abwesenheit des Hundes, dessen Bett sie sind, Abwesenheit des Innenraums, der Bleibe, an der sie Anteil haben, Abwesenheit von Vertrautheit und Vertraulichkeiten. Sicher waren die Kissen frisch gewaschen worden, herausgeputzt und gut gewappnet für diesen ungewöhnlichen Auftritt in der Öffentlichkeit. Selbst noch auf den Fotos ist es ihnen anzusehen. Und doch, so hoffe und vermute ich, hätte ich Flecken finden können auf ihnen. Speichelspuren, Spuren von Träumen, Reste von Intimität.
Die drei Kissen lagen (verschämt vielleicht) dort unter der Wendeltreppe in der Eingangshalle der Stettiner Philharmonie, um 
eine etwas linkische, an eine Vase erinnernde Glasskulptur vor dem Zerschellen zu bewahren, sollte der Nylonfaden, an dem sie von der vier Stockwerke hohen Decke hing, plötzlich reißen.  Die Skulptur schwebte ungefähr drei Meter über dem Boden in dem offenen Zentrum der spiralförmigen Treppe und war selbst von dort, also von gleicher Höhe aus, nicht deutlich zu erkennen.  Ein ungünstiger Platz, möchte man meinen, für ein Kunstwerk, wenn der Betrachter sich ihm nicht nähern, es auch mit Blicken nicht erreichen kann, um es genauer ins Auge zu fassen. Derart geschützt vor den Zudringlichkeiten der Besucher wie vor dem Zerbrechen bei einem möglichen Sturz, hing das kleine Objekt in der ausladenden Leere des Raumes und drehte sich um sich selbst – ob lediglich von der Luftzirkulation oder doch von einem Motor bewegt, war nicht auszumachen.

Wären da nicht die Kissen gewesen, die in dieser säkularen Kathedrale ausgesprochen laienhaft wirkten und auch zum Stil der Skulptur gar nicht passten, sodass man unweigerlich auf ihre rein funktionale Aufgabe schloss – wären da also nicht diese anrührend deplatzierten Lappalien gewesen, die Skulptur wäre selbst wie eine Belanglosigkeit erschienen, wie ein rein ornamentales (und aber doch auch nicht schönes) Accessoire. Niemand hätte ihr Beachtung geschenkt oder Wert beigemessen, so unscheinbar, wie sie sich in dem riesigen Raum ausnahm.

Auch dass ich jetzt über diese Skulptur nachdenke, die auf keinem meiner Fotos zu sehen ist, ist fraglos den Kissen geschuldet – war sie doch der alleinige Grund für deren frappante Präsenz. Aber ihre Bedeutsamkeit kommt mir deutlicher in dem drastischen Kontrast entgegen, in dem sie zu der wuchtigen Treppe stand. Ich stelle mir vor, wie das gläserne Objekt bei den Kissen läge – oder mehr noch dort, wo der sinnlich schwere Bogen der Treppe auf den Boden trifft. Das Zusammenspiel des massiven Volumens aus Beton mit demfragilen Objekt und den grotesken Kissen erinnert mich undeutlich an die beglückende Schwere des Anderen, den greifbaren und doch unfasslichen Umfang eines geliebten Leibes, die irisierende und befremdliche Chance der Intimität. Und die Spannung zwischen dem Ephemeren, Zerbrechlichen einerseits und der Korpulenz, dem Gewicht auf der anderen Seite ist es, die einmal mehr das Begehren in mir weckte, diese materiale Körperlichkeit selbst ins Bild zu bringen.

Die Umständlichkeit, von der das Fotografieren dort unter der Treppe gezeichnet war, entspricht den verkrüppelten Versuchen diesbezüglich. Das geduckte Herumkriechen, die Verrenkungen, das seltsame Um-die-Ecke-Blicken, all diese komplizierten Haltungen und Verrichtungen, die für mich wesentlich zum Fotografieren gehören, haben etwas mit dem innigen Wunsch zu tun, die Dinge zu ertappen, wenn sie sich unbeobachtet fühlen, einen Blick auf die Welt zu erhaschen, wie sie ohne mich ist. Vielleicht sind diese Verrenkungen also ein Ablenkungsmanöver, vielleicht auch ein Ablenkungsmanöver nicht den Dingen, nicht dem Anderen, sondern mir selbst gegenüber, der Versuch, den Antworten, die das Denken immer parat hat, seinem Erklärungswillen, zuvorzukommen und einmal dazwischenzugeraten – zwischen die Dinge und den Boden, der sie trägt: in die Berührung selbst.






Erschienen in: WAY EAR. wegmarken subversionen, gehörgänge – annäherungen an das hören und das gehen, vom aufhören zum aufgehen, hrsg. v. Thomas Raab, edition sine, Wien 2022.

 







Paraphernalia in the spotlight



Of course I was impressed by the architectural pithiness of the Filharmonia Szczecin, when I went there in May 2016, to listen to a concert. But what made a more lasting impression, were those three pillows, laying on the ground in the back of the ample entrance hall. – At least that is what I can take from the pictures that I selected later from the 84 negatives, for enlargement and now for publication. I also would like to say that the pillows catched my attention immediately when I entered the room, that in their peculiarity they outshone the sublime space. But that's not true. And I grasp or conceive their meaning – remembering, too – only now that I'm trying to describe what my photos are showing. So what touched me, were three ordinary cushions that here, in this distinguished environment, were lying (maybe even loitering) around publicly, like clochards or at least like the remains of the temporary bedstead of one. Exposed personal items. They seemed so very personal, i think, because their owner didn't overlay (and burden) them with sentimental meaning, because they symbolized nothing and weren't supposed to represent anything; They were just a few pillows, incidentals in everyday life, of a certain use without ever imposing themselfs as special, independent things. 

Actually, this text should better be titeled “Lappalien in the limelight”. The german “Lappalie” would have been a better word in this context, because somehow its etymology corresponds to the signified. It is a latinization of “Lappen”, “rag”, originally a german word and not a latin one. So they chose to betitle the mere nothing, the common rag with a very ambitious pseudo-latin loanword and thus the venerable origin may seem appropriate to give the named, otherwise overlooked and unsignificant, a certain shine.

Certainly there is also a place for the things the visitors forget in the Filharmonia of Szczecin, a box or a chamber. And certainly such things can look very deserted and pitiful when the time is up and no one bothered to bring them back home. But no garment, no umbrella, no glove and no hair clip could appear more private and misplaced in this sublime space.

Private – deprived of its inherited place, re-functionalized and brought in another context at random, the three pillows point to an absence; absence of the dog whose bed they are, absence of the interior, the abode at which they belong, absence of familiarity and intimacy they support. Certainly the pillows were freshly laundered, spruced up and well prepared for this unusual appearance in the public. That seems to be visible even in the photographs. And yet, i suppose and i hope a little bit, i could have found spots on them. Spittle traces, traces of dreams, remnants of intimacy.

The three pillows lay (shyly perhaps) under the spiral staircase in the entrance hall of the Szczecin Filharmonia, preserving a vase-like glassy sculpture of being shattered, if the nylon thread, on which it hung from the four floors high ceiling, was suddenly teared. The sculpture hovered about three meter above the ground in the open center of the spiral staircase. Even from there, standing at the same height with it on the staircase, it was not clearly perceptible. A disadvantageous spot, one might think, for an artwork, if the viewer can't approach it, nor reach it with vision, to take a closer look. Thus protected from intrusive visitors as from breaking, the small object hung in the sweeping emptiness of the room, rotating about itself – whether only from the air circulation, or even moved by a motor, was not clear.

And had it not been for the cushions which appeared dilettantish in this secular cathedral and neither fit the style of the sculpture, so that their purely functional task was inevitably obvious – had it not been for these touchingly misplaced rags (Lappalien), the sculpture itself would have appeared like a triviality, like a pure ornamental (but not really pretty) decoration. Nobody would have payed attention or attached value to it, as inconspicuous as it appeared in this vast room.

Also, the fact that I think about this sculpture now, which is not pictured on any of my photographs, is undoubtedly due to the pillows – was it but the sole reason for their striking presence. It's significance on the other hand becomes more clear in its drastic contrast to the massive staircase. I imagine how the glass object lays with the pillows – or even better where the sensual but heavy arc of the stairs meets the floor. The interplay of the massive volume of concrete with the fragile object and the grotesque pillows reminds me vaguely of the delightful heaviness of the other, the palpable and yet intangible stature of a beloved body, the iridescent and strange chance of intimacy. And the tension between the ephemeral and fragile on the one hand and the corpulence on the other, is what once again wakened my desire to bring this material corporeality into the picture.

The inconvenience, by which the process of taking photographs under the stairs was characterized, corresponds to the crippled attempts in this regard. The crouching crawl, the contortions, the weird look-around-the-corner, all those complicated attitudes and actions that have much to do with photography, belong to the heartfelt desire to catching things when they feel unobserved, catching a glimpse of the world, as it is without me. So maybe these contortions are a maneuver, maybe also a diversionary tactic not towards the things, nor the other, but an attempt against the answers that thinking always has, an attempt to prevent this will to explain, and to get caught – between things and the soil that carries it: in the touch itself.